Junge Liberale Darmstadt fordern Einführung der Ersatzstimme

Das Bundesverfassungsgericht lädt explizit zur Reform der 5%-Hürde ein. Eine bisher kaum diskutierte Reformoption: Eine zusätzliche Wählerstimme, die einspringt, wenn die eigentliche Stimme an der 5%-Hürde scheitert.

In seinem heutigen Urteil befand das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die 5%-Hürde in ihrer reinen Form als verfassungswidrig. Es fordert offen zur Reform der 5%-Sperrklausel auf – solange muss die Grundmandatsklausel bestehen bleiben. Um die Abschaffung der Grundmandatsklausel zu ermöglichen, fordern die Jungen Liberalen (JuLis) Darmstadt die Einführung der Ersatzstimme.

Die Ersatzstimme erlaubt Wählern, eine zweite Präferenz anzugeben, die dann zählt, wenn ihre eigentliche Stimme, die sogenannte “Hauptstimme”, an der 5%-Hürde scheitert. Bewegungen wie Mehr Demokratie e.V. setzen sich schon länger für die Einführung der Ersatzstimme ein, diskutiert wurde sie bisher hauptsächlich nur in der Rechts- und Politikwissenschaft.

Musterstimmzettel mit Ersatzstimme am Beispiel der Bundestagswahl 2021, entworfen von Mark Rothermel. Hier mit “Wahlkreisstimme” statt “Erststimme” sowie “Listenstimme” statt “Zweitstimme”, um mögliche Verwechslungen mit der Ersatzstimme zu vermeiden. (Zur Wiederverwendung freigegeben).

Tücken der 5%-Hürde

Bei der Bundestagswahl 2021 blieben rund 4 Millionen Stimmen aufgrund der 5%-Hürde unberücksichtigt. “Wenn der Wille von 4 Millionen Wählern unter den Tisch fällt, läuft etwas nicht richtig. Wir finden, dass dagegen etwas unternommen werden muss und kann“, betont Mark Rothermel, Vorsitzender der JuLis Darmstadt.

Die 5%-Hürde an sich wollen die JuLis Darmstadt beibehalten, um die Arbeitsfähigkeit des Bundestages weiter zu sichern. “Doch es gibt Alternativen, die Zahl der ungehörten Wählerstimmen deutlich zu senken, ohne dafür die Hürde selbst anzufassen“, so Maximilian Kehrer, Stellvertretender Vorsitzender der JuLis Darmstadt und Student der Politikwissenschaften an der TU.

Mit der Ersatzstimme zu mehr Fairness

Denn mit einer Ersatzstimme kann der Wähler seine Hauptstimme absichern. Sollte die mit der Hauptstimme gewählte Partei an der 5%-Hürde scheitern, so wird die Wählerstimme automatisch auf die Partei der Ersatzstimme übertragen. “Der Wähler erhält also eine zweite Chance, wird dabei jedoch nicht unfair bevorzugt, denn die Ersatzstimme kompensiert lediglich den Verlust der Hauptstimme”, erklärt Maximilian Kehrer.

Die Ersatzstimme würde zudem das taktische Wahlverhalten mindern, indem Wähler ihre Hauptstimme ihrer tatsächlichen Präferenz geben können, ohne Angst zu haben, dass ihre Stimme letztlich ungenutzt bleibt. Dies würde zu einem repräsentativeren Wahlergebnis führen. Mit einer erhöhten Zahl berücksichtigter Stimmen erhöht sich außerdem die Legitimation der gewählten Parteien.

Systemwechsel explizit gebilligt

Zwar erfordert die Einführung der Ersatzstimme eine Anpassung des Wahlverfahrens und einen erhöhten Auszählungsaufwand, doch die positiven Effekte überwiegen deutlich. Länder wie Australien, Irland und Malta sowie Städte in den USA haben bereits erfolgreich ähnliche Systeme implementiert und zeigen, dass die Bürger das System gut verstehen und akzeptieren​.

In seinem Urteil hielt das BVerfG ausdrücklich fest: “Der Gesetzgeber kann Neuerungen einführen, die dem bisherigen Wahlrecht fremd waren und Wählerinnen und Wählern ebenso wie Bewerbern und Parteien ein Umdenken abverlangen.” Ein Systemwechsel mit einer Tragweite wie bei der Ersatzstimme wäre aus Sicht des BVerfG also denkbar. Die JuLis Darmstadt fordern daher die Bundesregierung und den Bundestag auf, die Einführung der Ersatzstimme als Wahlreform in Betracht zu ziehen. So kann bei gleichzeitiger Beibehaltung der 5%-Hürde die Grundmandatsklausel abgeschafft und eine größere Fairness hergestellt werden.

“Pilotprojekt Ersatzstimme” in Darmstadt?

Die Ersatzstimme könnte auch auf kommunaler Ebene eingesetzt werden, bspw. für Bürgermeisterwahlen. “Da die Ersatzstimme gedanklich wie ein zweiter Wahlgang fungiert, würde die Stichwahl überflüssig werden, denn sie wäre mit der Ersatzstimme bereits im ersten Wahlgang integriert”, erläutert Mark Rothermel. So spart sich die Stadt die Durchführungskosten eines zweiten Wahlganges und die Wähler müssen nur einmal an die Urne treten.

Mark Rothermel schlägt vor: “Hessen könnte einen Anfang machen und es den Kommunen über die HGO ermöglichen, die Ersatzstimme in ihrer nächsten (Ober-)Bürgermeisterwahl auszuprobieren” und sieht Darmstadt als Ort für ein wissenschaftlich begleitetes “Pilotprojekt Ersatzstimme” ganz vorne. Er appelliert an die Landesregierung: “Ergreifen wir die Chance, unser Wahlsystem weiterzuentwickeln und noch fairer zu gestalten.”